Im Silicon Valley dreht sich alles um radikale Innovation. Und was ist das wichtigste organisatorische Werkzeug dafür? Das sind Teams: interdisziplinär, selbstgesteuert, sorgfältig besetzt mit T-shaped Personalities, und all das in einer akribisch designten Arbeitsumgebung. Wie genau funktionieren diese Innovationsteams? Und warum funktionieren sie bei uns in Europa oft nicht?
In diesem Blogbeitrag berichte ich darüber wie die renommierte Designagentur IDEO, Erfinderin des Design Thinking, besonders leistungsfähige Teams bildet. Und warum sich dieser Ansatz in Unternehmen bei uns in Europa nicht so einfach kopieren lässt.
Teams für große Herausforderungen
Teams bei IDEO sind interdisziplinär zusammengesetzt und arbeiten grundsätzlich an Vorhaben mit ausgesprochen unsicherem Ausgang. Immerhin geht es ums Entwickeln und Designen von Innovationen für sehr anspruchsvolle Auftraggeber. Die erste Computermaus von Apple war beispielsweise ein Design von IDEO. Um dabei nicht den Optimismus zu verlieren und zusammen zu halten, müssen Teams sehr sorgfältig besetzt und unterstützt werden.
StaffingAnnette Diefenthaler, IDEOSorgfältiges Staffing hat enorme Bedeutung, um Sicherheit zu schaffen und die Begeisterung fürs Thema am Leben zu halten.
Bei der Zuteilung von Kolleginnen zu Projektteams wenden IDEO-Führungskräfte wie Annette Diefenthaler ein sehr ausgeklügeltes System an. Zuerst wird in der Führungsrunde die Teameinteilung besprochen, dann werden Mitarbeiterinnen angesprochen, ob sie in das Team wollen, dann wieder unter den Führungskräften diskutiert. Dieser Prozess kann sich geraume Zeit hinziehen. Warum wird das so aufwändig gemacht? Kreative Arbeit ist nicht nur ein Spaß, sondern auch anstrengend, hart und manchmal enttäuschend. Da hat sorgfältiges Staffing enorme Bedeutung, um Sicherheit zu schaffen und die Begeisterung fürs Thema am Leben zu halten. Am Ende dieses Prozesses steht ein motiviertes Team. Und genau das spürt dann auch der Kunde.
T-Shaped Personality
Du musst dein Projekt leben!Elger Oberwelz, IDEO
Auch Raum ist ein oft unterschätzter, aber hoch relevanter Faktor für Kommunikation. Darum überlegen sich IDEO Teams genau, wie sie ihren Arbeitsraum gestalten: Jedes Team hat einen eigenen Platz für die Dauer des Projektes, eine Heimat für Menschen und Material. Unser Freund Elger, der uns durch das Studio in Palo Alto führt, nennt das: “Du musst dein Projekt leben.”
Was in Amerika erwartet wird
Das ist cool. Und aufregend. Sehr aufregend. Und genau deswegen lässt sich diese stark teambasierte Arbeitsweise schwer in unserem Kulturraum transferieren. Die amerikanische Kultur ist generell eine, die extravertiertes Verhalten belohnt, ja einfordert. Susan Cain beschreibt in ihrem Bestseller “Quiet” ausführlich, wie in den USA vom Kindergarten bis zur Elite Uni Selbst-Präsentation geschult wird. Wer sich nicht verkaufen kann, hat in den USA schlechte Karten. Selbst wenn er fachlich genial ist. “Selling” ist die am höchsten geschätzte Fähigkeit in amerikanischen Unternehmen. Selling hat bei uns einen schalen Beigeschmack. In der mitteleuropäischen Denkweise spricht (technische) Qualität für sich.
Darum hat es der gelernte Mitteleuropäer nicht leicht in den USA. Elger erzählt uns von seinen ersten Jahren bei IDEO. Er hat tolle Ergebnisse und geniale Ideen geliefert. Aber gesehen wurden diese erst, als er gelernt hat, seine Ideen zu verkaufen. Und zwar auf die amerikanische Art, die bei uns Europäern mitunter Beklemmungen auslöst. Susan Cain meint, dass es stark introvertierte Kulturen gibt wie Japan und stark extravertierte wie die USA. Wir Mitteleuropäer liegen wohl dazwischen. Selling hat bei uns einen schalen Beigeschmack. In der mitteleuropäischen Denkweise spricht (technische) Qualität für sich. Da braucht es keinen Verkauf – und wenn, dann einen, der eher durch technisches Wissen glänzt als durch rhetorische Brillanz. Das ist stolzes Understatement. Leider geht man mit dieser Haltung in den Staaten unter.
Vergeben sich amerikanische Unternehmen damit auch einiges von der Kompetenz, die introvertierte Mitarbeiterinnen zu bieten haben? Die große Aufmerksamkeit, die Susan Cains Buch und TED-Talk erhalten haben, spricht dafür. Ebenso einige der neueren Blog-Artikel mit Tools und Tipps für Introvertierte, die auf der Website von IDEO publiziert wurden. Wie es scheint, gibt es in den USA ein Umdenken, eine Neubewertung des extravertierten Ideals und eine Aufwertung introvertierter Verhaltensmuster.
Kultur schlägt Methode
Dennoch basieren viele Managementmoden, die aus den USA zu uns kommen, auf dem amerikanischen Verständnis von Teamarbeit. Sie funktionieren dann gut, wenn die Teilnehmer sich sehr extravertiert einbringen. Das gilt für Design Thinking ebenso wie für agile Arbeitsformen. Ich arbeite gerne in Teams, brauche dann aber auch wieder viel Zeit für mich. Am kreativsten bin ich abends, wenn alle schlafen, keine Anrufe mehr hereinkommen, diverse Chat-Apps schweigen und wenn die Email-Flut versiegt. Das ist meine Zeit für Kontemplation, aus der ich neue Ideen schöpfe. Ich finde das Umfeld von IDEO toll. Und ich wäre gern jemand, der sich dort wohlfühlt. Aber ich fürchte die permanente Öffentlichkeit und der intensive soziale Kontakt wären für mich auf Dauer sehr anstrengend. So richtig produktiv wäre ich dort vermutlich nicht.
Ähnliches hören Christine und ich bei Kundinnen, die uns um Unterstützung fragen, wenn sie agile Teams einführen wollen. Oder wenn erste Probleme mit diesen Arbeitsformen auftauchen. Der Klassiker dabei ist: Zwei Tage Scrum-Methodentraining und dann sollen Teams plötzlich selbstgesteuert und interdisziplinär funktionieren. Doch wie geht das Team mit unterschiedlichen Arbeitsstilen um? Schnell entsteht Gruppendruck – vor allem an den Stellen, wo einzelne Teammitglieder sich schwer tun, intensiv und rege am permanenten Kommunikationsfluss teilzunehmen oder deutlich Standpunkte zu vertreten. Oft sind es gerade die besten Techniker, die am liebsten für sich alleine technische Probleme lösen, anstatt in vielen Standups, Retrospektiven und anderen agilen Meetingformaten den Austausch mitzugestalten. Eine Methode alleine macht nur leider noch lange kein performantes Team.
Die Arbeitsweise des Design Thinking – und darauf weisen uns auch unsere Freunde bei IDEO hin – hat ein bisschen mit Methode, aber vor allem ganz viel mit Einstellung zu tun. Und die erwächst aus dem kulturellen Kontext. Wenn das Gedankengut des Silicon Valley zu uns kommt, ist von der zugrundeliegenden Haltung nicht mehr viel zu spüren. Wie auch? Dafür müssten zuerst alle Mitarbeiter für ein paar Jahre nach Kalifornien fahren und dort mitarbeiten. Von heute auf morgen lernt man weder eine neue Sprache noch eine neue Kultur. Was bleibt ist Methode. Eine Methode alleine macht nur leider noch lange kein performantes Team.
Europäische Auswege
Ist es deswegen sinnlos mit agilen Arbeitsformen in mitteleuropäischen Unternehmen zu experimentieren? Das glaube ich auch wieder nicht. Die neuen Methoden können produktiv irritieren und dabei helfen, die gewohnten Verhaltensmuster aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. Statt Hurrageschrei über neue Methoden sind hiesige Führungskräfte besser beraten, amerikanische Konzepte intelligent an unseren kulturellen Kontext anzupassen. Und sie müssen so eingeführt werden, dass sie auf unserer Arbeitsweise aufsetzen, anstatt diese zu ersetzen. Sonst, das zeigt die Erfahrung, sind sie nicht nachhaltig
Und du?
Welche Erfahrungen hast du mit amerikanischen Methoden in mitteleuropäischen Unternehmen? Wir freuen uns auf Austausch mit dir. Schreib uns ein paar Zeilen!